Die Frage nach dem Warum

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Die Frage nach dem Warum

Gedenkseite für Kevin Brand
Veröffentlicht von Uwe Brand in Die Zeit danach · 5 April 2020
Man kann es einem Außenstehenden gar nicht richtig beschreiben, wie für uns diese Zeit war. Für uns war unsere Umwelt total entschleunigt und der Rest der Welt raste an uns vorbei. Alles, was um uns herum passierte, interessierte uns nicht. Uns auf irgendetwas zu konzentrieren war und ist noch immer nicht möglich. Ich habe immer sehr gerne gelesen. Seit 9 Monaten habe ich es nicht geschafft, 2 Seiten zu lesen. Sobald ich auf Seite 2 umblättere, habe ich vergessen, was auf Seite 1 stand. Oder früher bin ich gerne zügig Auto gefahren. Seit Kevins Tod kann ich mit 70 über die Landstraße fahren und es ist mir egal, ob es sich hinter mir staut.
 
Wir versuchten, für uns psychologische Hilfe zu bekommen, was sich leider als sehr schwierig erwies. Oftmals besteht nur 1 x im Monat die Möglichkeit einer telefonischen Terminvergabe. Dafür hat man eine Zeitspanne von ca. 20 Minuten. Meistens kamen wir gar nicht durch. Die Nachfrage ist wohl doch sehr hoch. Hatten wir Glück und konnten mit jemandem am Telefon sprechen, kam gleich die Enttäuschung hinterher. Eine Therapie kommt nur bei einer zu behandelnden psychischen Störung in Frage, aber nicht bei einer Trauer- und Traumabewältigung. Die können einem zwar helfen, wenn ich mich ständig von einem 2 Meter großen rosa Hasen verfolgt fühle, aber ein solches Trauma zu verarbeiten, dafür fühlt sich kaum ein Therapeut zuständig, oder ein Termin wäre in frühestens 6 Monaten zu bekommen.
 
Immer wieder fragten wir uns, was geschehen ist, dass sich Kevin das Leben genommen hat. Wir hatten so viele Fragen und bekamen nirgendwo Antworten. Egal ob bei Ärzten, Polizei oder Bekannten. Immer bekamen wir das gleiche zu hören: „Was ihr auch anstellt, dadurch bekommt ihr Kevin auch nicht zurück“ (sehr einfühlsame Bemerkungen). Das ist uns bewusst, dass nichts Kevin wieder lebendig macht. Aber es ist doch nachvollziehbar, dass wir nach einem Grund gesucht haben, was dazu geführt hat. Als er vor ein paar Jahren aus seinem Elternhaus ausgezogen ist, hatte er keine Depressionen, die er ja zuletzt gehabt haben soll. Was hatte ihn also danach so unglücklich gemacht? Seine Arbeit war sein Traumjob, das hatte er uns öfter gesagt (mit Höhen und Tiefen, wie überall).  Wegen 26 Euro Schulden nimmt sich auch niemand das Leben. Wenn man doch wusste, dass Kevin seinen Tod angeblich schon lange geplant hatte (wie man uns mitteilte), warum wusste man nicht den Grund dafür? Hat man nicht nachgefragt, warum er es plant? Und warum hat man nichts dagegen unternommen?
 


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